Zeit Umfrage Wie schlimm ist die Lage in Ihrer Kita

Bitte macht alle bei der Umfrage der Zeit mit.

https://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2022-11/kita-notstand-fachkraeftemangel-aufruf

Links zu den Thema Das Kita-System steht vor dem Kollaps

Jugendhilfeportal: https://jugendhilfeportal.de/artikel/das-kita-system-steht-vor-dem-kollaps-ressourcen-im-system-staerken

Ver.Di: https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/mein-arbeitsplatz/sozial-und-erziehungsdienst/++co++55ca26a4-5062-11ed-b4a1-001a4a160111

Initiative Familien: https://www.initiativefamilien.de/aktuelles/positionspapier/

Anbei meine Anmerkung dazu (Lesezeit ca. 5 Minuten):

Liebe Zeit-Redaktion,

zunächst einmal vielen Dank für Ihren Artikel „Wie schlimm ist die Lage in Ihrer Kita“ vom 21.11.2022 und ich möchte Ihnen dazu meine ganz persönliche Sicht und Erfahrung zukommen lassen.

Ich bin Vater von zwei Kindern, im Elternbeirat engagiert und seit 2018 im Vorstand eines kleinen Trägervereins mit zwei Betreuungseinrichtungen für knapp 250 Kinder mit 21 Festangestellten und seit dem ziemlich entsetzt und enttäuscht von dieser ganzen Bildungs- und Betreuungs-Katastrophe.

Seit Jahrzehnten wird der Bereich Bildung und Betreuung von der Politik durch Misswirtschaft (oder Ignoranz) mit Vollgas an die Wand gefahren. Die seit 1996 (Kindergarten ab 3 Jahren) bzw. seit 2013 (Krippe ab 1 Jahr) bestehenden Rechtsansprüche für Betreuungsplätze sind bis heute nicht erfüllt. Zusätzlich kommen die Grundschüler immer „überraschend“ in die Schule. Als Familie wird man hier auf der ständigen Suche nach Betreuungsplätzen verbrannt bzw. sind diese teilweise dann auch im Normalbetrieb schon nicht gesichert und es muss immer wieder (kurzfristig) die Betreuung selbst übernommen werden. Dabei fällt der Unterricht an der Schule ebenfalls immer wieder aus, aber der Stoff darf in der Regel zuhause nachgeholt werden.

Überall herrscht ein signifikanter Mangel an adäquaten Ressourcen. Es fehlt an geeigneten Räumlichkeiten (siehe verfallene und tlw. denkmalgeschützte Altbauten, Container, notdürftig umgebaute ehemalige Postfilialen und Ladengeschäfte, völlig veraltete und unbrauchbare Sporthallen und Schwimmbäder), veraltete bzw. kaum vorhandene Spiel- und Lernmittel (bspw. Computer, Tablets, Freiflächen und ständiger Zukauf von zusätzlichem Spiel-/Lernmaterial durch die Eltern notwendig), bis zum Mobiliar (bspw. gibt es in der Arbeitswelt den Arbeitsschutz, aber die (Grund-)Schüler*innen sitzen in den Klassen auf denselben Stühlen an denselben Tischen ohne Möglichkeit der Höhenanpassung).

Vor allem fehlt es aber an qualifiziertem Personal.

Hier wurden mit Maßnahmen zur Personaloptimierungen in der Regel die Betreuungsschlüssel angepasst, um somit größere Gruppen mit weniger Erzieher*innen betreuen zu dürfen. Das führt aber dazu, dass durch einen (kurzfristigen) Ausfall von Personal immer wieder Angebote (bspw. Vorschule, Ausflüge), Betreuungszeiten und Unterricht ausfallen müssen. Bei bspw. Schulklassen mit bis zu 35 Schüler*innen hilft es aus meiner Sicht auch nicht, dass die Lücken einfach mit „unausgebildeten Quereinsteigern“ gefüllt werden würde, denn Betreuung und Schule sind keine reinen Verwahrstellen, sondern haben auch einen hohen Qualitätsanspruch und zum anderen ist das ggü. den bisherigen Lehrkräften/ Erzieher*innen eine Abwertung ihrer (langjährigen) qualifizierten Ausbildung.

Darüber hinaus wurden mit den vielen unterschiedlichen Konzepten dann noch die unterschiedlichsten Finanzierungsformen und Abrechnungszeiträume eingeführt, welche zu einem administrativen Overkill führen, unter dem alle Einrichtungen extrem leiden. Neben der völlig komplizierten Buchhaltung kratzen alle am Existenzminimum und durch die hohen Bürokratiehürden werden Projekte und Reformen bzw. die Finanzierungen von solchen meist von selbst ausgebremst.

Zusätzlich werden immer mehr die absolut ungerechten Ungleichbehandlungen von Kindern bei den unterschiedlich gesetzten Qualitätsstandards bei der Betreuung sichtbar (KuMi vs. HMSI). Beispielsweise werden in unserer schulischen Betreuung knapp 230 Kinder von 18 Festangestellte betreut, dagegen in unserem Hort 26 Kinder von 3 Festangestellten. In der Schule gibt es einen von der Stadt bestimmten Groß-Caterer, im Hort dürfen wir uns den Lieferanten für das Mittagessen selbst aussuchen. Dazu soll unsere schulische Betreuung einfach immer mehr Kinder aufnehmen, während beim Hort bereits bei der Erhöhung um ein Kind mit der Verletzung des Kindeswohls gewedelt wird.

Die Pandemie hat das ganze Ausmaß dieser Bildungs- und Betreuungs-Katastrophe wie ein Brennglas noch deutlich sichtbarer gemacht.

Gerade durch die Kombination von viel zu großen Gruppen, viel zu wenig Mitarbeiter*innen und ungeeignete Räumlichkeiten mussten zur Einhaltung der zusätzlichen Schutzmaßnahmen viel zu viel Unterricht und Betreuung ausfallen. Dazu wurde die Erziehungspartnerschaft an vielen Stellen massiv geschädigt, denn viel zu oft wurde die Verantwortung durch widersprechende bzw. unklar formulierte Schutzmaßnahmen auf die Einrichtungen und damit auf die Erzieher*innen/ Lehrkräfte verlagert, welche damit völlig überfordert waren und in den ständigen Dissens mit der Elternschaft und innerhalb der Belegschaft selbst getrieben wurden. Da war die Finanzierung des Fördervereins von Hard- und Software für die Ermöglichung des digitalen Unterrichts, weil es über die Stadt nicht (schnell genug) möglich war, ein doch nur kleines unnötiges Übel.

Und weil bisher von der Politik für Betreuung und Bildung kaum etwas getan wird, muss es Eltern und Vereine wie uns geben, um verzweifelt zu versuchen diese Fehler abzufangen. Wie kann es aber sein, dass alleine bei uns an der Grundschule mehr als die Hälfte der Grundschüler über einen Elternverein betreut werden müssen und trotzdem die Eltern in einer quälenden Odyssee auf der Suche nach Betreuungsplätzen stecken? Wie kann es sein, dass der Förderverein immer wieder über Mitgliedsbeiträge weitere Ausstattung für die Schule anschaffen muss und andere Fördervereine solche Anschaffungen durch andere Einkommensverhältnisse im Bezirk nicht leisten können? Wie kann es sein, dass der Schulbezirk nur durch Elterninitiative bisher mit einer der wenigen im ganzen Stadtgebiet war, bei denen alle Grundschüler einen Betreuungsplatz erhalten hatten, was jetzt im Schuljahr 22/23 auch nicht mehr gegeben ist? Denn das wird alles im Ehrenamt umgesetzt und in der Regel haben diese Eltern eigentlich noch einen echten Job und dazu noch Familie.

Es ist jetzt schon wie der Kampf gegen Windmühlen, um den Kollaps zu verzögern und da kommt noch der Rechtsanspruch für die Betreuung von Grundschülern ab 2026 dazu. Es leiden die Erzieher’innen, es leiden die Lehrkräfte, es leiden die Eltern und am Ende geht alles auf die Kinder, was über die Erkenntnisse der Auswirkungen aus der Pandemie klar und deutlich hervorgeht (psychische und physische Probleme, Mediensucht, Lerndefizite, Bewegungsmangel, etc.).

Deswegen sind zwingend grundlegende Reformen notwendig, die das System endlich funktionieren und (auf)atmen lassen: Eine Ausstattung mit ausreichend adäquaten Ressourcen im Sinne des Kindeswohls.

Nur mit einer qualitativ und quantitativ hochwertigen Betreuung und Schule kann man die Themen Chancengleichheit, Integration, Inklusion und Nachhaltigkeit wirklich erreichen.

Anbei noch ein paar Ideen für mögliche Reformen ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit:

– Räume und/ oder Gebäude die für eine Betreuung oder Schule bedingungslos geeignet und ausgestattet sind. Altbau oder Denkmalschutz dürfen hier keine Restriktionen darstellen oder scheiden aus der Nutzung aus.

– Tische, Stühle und Mobiliar sind insgesamt altersgerecht und mitwachsend

– Bereitstellung von ausreichend notwendigen Betreuungsplätzen und Personal zu qualitativen und quantitativen Erfüllung der Rechtsansprüche

– Reform der Betreuung nach einheitlichen Qualitätsstandards (keine unterschiedlichen Regelungen mehr zwischen Hort, ESB, Pakt, etc.)

– Reform der Finanzierung auf einheitlich Pauschalen pro vorgehaltenem Betreuungsplatz nach Altersgruppen

– Adäquates planen, nachhalten und kommunizieren von benötigten Betreuungs- und Schulplätzen über die Geburtenrate und Zu-/Wegzugs-Quoten, vor allem bei der Planung von Neubaugebieten

– Nur noch Ganztagsplätze in der Betreuung, denn nur so kann der Personaleinsatz wesentlich vereinfacht geplant und der tatsächliche Betreuungsbedarf der Eltern abgedeckt werden (mit einem 1/2- oder 3/4-Betreuungsplatz kann kaum eine Familie etwas anfangen)

– Vereinheitlichung der Betreuungsschlüssel nach Altersgruppen mit insgesamt kleineren Gruppen und mehr Fachkräfte für eine quantitativ und qualitativ hochwertige Betreuung und Beschulung

– Reform der fünfjährigen Ausbildung von Erzieher*innen/ Lehrkräften und zwingend adäquate Qualifizierung von Quereinsteigern

– Mehr Verknüpfung zwischen Schule und Betreuung, denn hier liegt ein hohes Potential für die (früh)kindliche Förderung und für die Aufwertung des Berufsstandes

 – Verankerung der Vermittlung von mentaler Stärke und bewusster Nutzung des Internets und sozialen Medien im Unterricht

– Grundsätzliche Umstellung auf Lernen zu Lernen und Förderung von eigenständigem Arbeiten bzw. in der Gruppe

– Einbeziehung von digitalen Lernmitteln